MEIN LEBEN AUF DER ACHTERBAHN

 


Mein Leben glich der Fahrt auf einer Achterbahn. Während meine Familie in der Kreisstadt Namslau, Bezirk Breslau, wohnte, verbrachte ich ab dem Alter von sechs Jahren die Sommermonate in Oberschlesien auf dem Hof meiner Großeltern Giesler. Die Ländereien sollen als Lehen vom Herzog Georg II. von Brieg (1523–1586) an den Urahn vergeben worden sein. Die Äcker lagen unmittelbar an der deutsch-polnischen Grenze. Gesprochen in dieser Gegend wurde das sogenannte „Wasserpolnisch“, welches ich mir schnell anzueignen hatte. Die Zweisprachigkeit brachte Segen und Defizite in meinem Leben. Unsere Mutter flüchtete dann mit uns fünf Kindern vor der Roten Armee und wir kehrten zu Fuß in die Heimat nach Namslau zurück. Jetzt unter polnischer Herrschaft half meine Zweisprachigkeit, uns vor dem Hungertod zu bewahren. Nach unserer Vertreibung aus Namslau schlossen sich Lageraufenthalte in der Ost- und der Westzone an, bis wir am Südharz im Dorf Bartolfelde vorerst eine neue Bleibe fanden. Mit elf Jahren wurde ich eingeschult und die sprachlichen Defizite brachten jetzt Ausgrenzung und Hohn, der selbst von Lehrerinnen gefördert wurde.

 

Mein starker Wille, verbunden mit Lernbereitschaft und Ausdauer ließ mich die Probleme des Alltags überwinden und mich nach dem Studium des Bauingenieurwesens beruflich auf einem holperigen Weg bis zum Bauoberrat aufsteigen. Mein privates Glück hingegen war immer wieder auch von Tiefschlägen gekennzeichnet, bevor ich endlich angekommen bin.

 

Nun, im hohen Alter, habe ich die Geschichte meines Lebens aufgeschrieben. Es ist meine Geschichte und doch ist es auch die Geschichte eines Lebens im 20. Jahrhundert – gekennzeichnet durch all die äußeren Ereignisse, die sich kein Mensch ausgesucht hat. Erst recht kein Kind in der Kriegszeit. Ich war als Kind mit den Sommern auf dem Hof der Großeltern und auch sonst wirtschaftlich sicherlich privilegiert. In der dann folgenden düsteren Epoche hingegen blieb gar keine Zeit, erwachsen zu werden – man musste es einfach sein, um zu überleben.

 

Nach dem Krieg waren alle Selbstverständlichkeiten erneut auf den Kopf gestellt. Als Flüchtling hieß es, sich wieder durchzusetzen. Auch gegen alle Vorurteile. Das war damals so, das ist auch heute so. Es ist immer eine Herausforderung, wenn man in eine ganz neue Umgebung geworfen wird. Mir hat mein Drang zur Bildung geholfen. Und was an Sprache mein Problem war, konnte ich durch mein mathematisches Verständnis auf manchen Feldern mehr als ausgleichen. Manchmal auch durch Sturheit. So habe ich irgendwann auch wirtschaftlich wieder Fuß gefasst im Leben. Immer aber blieben viele Möglichkeiten auch zu so manchem Unfug und mancher Dummheit. Ich habe wenig ausgelassen. Dass ich so alt werden konnte, hat auch mit Glück zu tun.

 

Mein Leben ist sicherlich kein in jeder Hinsicht typisches des 20. Jahrhunderts, aber bestimmt doch ein exemplarisches. Hoffen wir, dass heutige und nachfolgende Generationen die schlimmsten Auswüchse, die meine Generation erlebt hat, nicht ebenso in irgendeiner Form durchmachen müssen. Bleiben wir wachsam und strebsam, auch wenn es in heutigen Zeiten nicht so einfach scheint, Mensch zu bleiben und andere Mensch bleiben zu lassen. Es lohnt sich.

 

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